Rudi Maurer:
2006 Waldhonig-Wabenauslese 28/93
2009 Wald und Sommerblüte 31/91
Sofa, Atlas, 2 Löffel, 2 Honiggläser – es geht in eine mir fremde Gegend, in den Hochtaunus. Ich kenne ihn immerhin aus der Ferne: Es ist der dunkle Waldstreifen den man sieht, wenn man Frankfurt Main in nördlicher Richtung entkommen ist.
Vor mir stehen zwei Honige von Rudi Maurer. Johannes hat hier von ihm, seiner Frühtracht und Arbeitsweise berichtet.
Wir hatten bereits 2008, als die Idee zum Honig-Blog gerade jung und verschämt um die Ecke kam, die Ehre, Rudis besten Waldhonig zu probieren. Er hatte uns beschenkt mit 28/93 aus dem Jahr 2006, der Wabenauslese aus dem Naturpark Hochtaunus. Während wir vor Freude über das sensationelle Aroma am Boden lagen, uns mit aller Vorsicht gegenseitig erzählten, daß wir Andeutungen von Pumpernickel in diesem Honig schmecken, haderten wir ein wenig damit, daß er verschnitten ist – also kein Lagenhonig im eigentlichen Sinn.
Rudis Bienenstände sind in Tracht und Lage ähnlich. Sie stehen, so erzählt er, ganz bewußt in den traditionell „armen“ Teilen des Hintertaunus. Hier hat es sich niemals gelohnt, den Wald zu roden. Die Hänge sind zu steil für den Ackerbau und die Erde auf den Felsen reicht meist nicht, um ein Spatenblatt vollständig einstechen zu können. Wo der Waldboden sehr karg ist, ist die Vegetation langsam und mager. Entsprechend licht sind die Bestände, lassen Raum für artenreichen krautigen Unterwuchs. Die tief eingeschnittenen Täler des Hintertaunus laufen nach Norden auf die Lahn zu. So kann man in der Zeit des großen Blühens den Frühling von der einen Seite des Tales zur anderen wandern sehen.
Die Honigstände befinden sich auf Höhen zwischen 130 und 360 m. Die hellen Honige werden vorzugsweise in den niedrigen Lagen geerntet, die Sommer- und Waldhonige weiter oben. Bei der Ernte werden einzelne, farblich besonders intensive Waben mit taureichem Honig von den übrigen Waben getrennt. So entsteht, analog zu einer Beerenauslese beim Weißwein, eine verschnittene Waldhonig-Wabenauslese und ein Verschnitt des mehr oder minder honigtaulastigen Sommerhonigs. Die sorgfältige Auswahl, die Idee hinter der Auslese und nicht zuletzt das umwerfende Ergebnis haben uns überzeugt und unser eigenes Dogma Lagenhonig entkräftet.
Die Waldhonig-Wabenauslese 2006 liegt dunkel, klar und sämig-dickflüssig im Glas. Das Etikett zeigt den honigtaubenetzten Zweig eines Nadelbaumes, der Honig ist Bioland-zertifiziert. Daß er nach dieser langen Zeit immer noch seine überragende Qualität hält, liegt nicht nur an der sorgfältigen, kühlen und dunklen Lagerung, sondern auch am außergewöhnlich niedrigen Wassergehalt, der dem Honig nach Rudis Aussage „ewiges Leben“ verleiht. Trotzdem zeigt er keine Spur von der Zähigkeit übertrockener Waldhonige.
Ein leichter Kaffee-Duft steigt in die Nase – bitter, säuerlich und süß zugleich. Ein Hauch Liebstöckel kündigt die herzhafte Note an, die in diesem Honig zu entdecken sein wird. Geschmacklich steht eine malzige Süße im Vordergrund, die man nie mehr missen möchte. Eine Oma am Kachelofen, Gemütlichkeit. Dunkle Gewürze wie Nelke klingen leise an. Hefe scheint im Spiel und damit ein Geschmack jenseits von süß, sauer, bitter oder salzig. Umami. Bei 28/93 wandern meine Gedanken zu … ja: Biergulasch. Zartes Rindfleisch, scharf angebraten, dunkelbraune, aromenreiche Sauce. In der zweiten Welle kommt er daher wie eine große, schwere Glocke – deutlich, klassisch, weitreichend – der Opa zur Oma.
Dieser Honig hat keine frechen Spitzen, bricht nicht aus, ist weit entfernt von Leichtigkeit, die von Sommer, Blumenwiesen, blühenden Landschaften erzählt. 28/93 erzählt von dichtem Wald, einem schützenden Blätterdach, Lichtstrahlen in Nebel, im Hintergrund ein Vogelkonzert, ein murmelnder Bach. Dieser Honig schmeckt nach Getreide, Holzfeuer und Beständigkeit.
Zu verdanken ist er einer Vielzahl glücklicher Umstände, die dazu führten, daß 2006 nahezu alle Bäume im Taunus von Blattläusen bevölkert waren, die reichlich Honigtau ausschieden. Bei manchem Imker führte das 2006 zu einem Übermaß an Melezitose im Honig, und die Ernte ging verloren. Rudis Bienen trugen die optimale Mischung heim.
Heller und etwas flüssiger kommt 31/91 daher, Rudi Maurers „Wald und Sommerblüte“ 2009; das Etikett zeigt die Blüte einer Zichorie/Wegwarte, die auf den steinigen Hochtaunus-Böden wächst und die Blume des Jahres 2009 war. Dieser bernsteinfarbene Honig zieht dünnste, lange Fäden und schickt zur Begrüßung einen zarten Rosenduft. Er ist, um im Bild zu bleiben, ein Enkel des 2006er 28/93, ein junger Hüpfer, blütenreich, etwas lindenminzig, mit deutlicher Säure und Fruchtnoten. Dennoch ist der Honigtau auch hier unverkennbar. Dieser Honig ist die Waldlichtung, ist Waldrand mit Him- und Brombeeren, Kleeflecken und blühenden Hecken. 2009 – das Jahr von Krise und Rezession? Rudi Maurers „Wald und Sommerblüte“ erzählt eine andere Geschichte. Er gibt sich blumig, freundlich, unkompliziert, verspielt.
Diese beiden hervorragenden Honige nebeneinander sind trotz des Verschneidens Paradebeispiele für das, was wir mit Landschaft im Honig meinen. Sie zeigen die Vielfalt einer Gegend, die das Potential hat, jedes Jahr neue, andere Honige aufzubieten. Die Kunst des Honigmachens zeichnet sich durch Weglassen und Vermeiden aus. Sie ist der Blick für den Standort, die Suche nach Fülle, sie ist das Bild eines Honigs im Kopf beim Entdecken einer Landschaft. Diese Honige zeigen, was entstehen kann, wenn ein Imker diese Kunst beherrscht.
Sagt mal was bedeutet »28/93« und »31/91«?
Das sind die Chargenbezeichnungen der Abfüllungen, Olli. Normalerweise geben wir bei einem Lagenhonig den Jahrgang, die Lage, ggf. mit Ort (z. B. „Wannebachtal“ oder „Hohenlimburg Wannebachtal“) und die Tracht (Frühtracht, Sommertracht, Spättracht) an und versuchen, der Übersicht halber bei dieser Systematik zu bleiben, auch, wenn der Honig unter einer anderen Bezeichnung verkauft wird. Bei Rudi Maurer ist das wegen des gezielten Verschnitts charakterlich ähnlicher Stände so nicht möglich. Um trotzdem nachvollziehbar zu machen, um welchen Honig es sich genau handelt, nennen wir stattdessen die Losnummer, unter der wir die Proben bekommen haben. Hätte er, wie er es unseres Wissens für 2010 plant, Einzellagen abgefüllt, hätten wir diese statt der Charge genannt.
Alles klar – danke.
Wie kann man eigentlich bei einer Honigverkostung den Geschmack neutralisieren?
Mit frischem (!), sehr gutem Weißbrot (Typ Baguette) oder hellem, sehr großporigem Mischbrot. Für das Brot lieber 10 km zu einem vertrauenswürdigen, leidenschaftlichen Bäcker fahren als zweitklassiges zu nehmen. Dazu Leitungswasser aus einem schönen Krug. Wasser allein ist ungeeignet.