Reiner Schwarz:
2008 Achental Frühtracht
(eine der Lagen Niedernfels/Streunthal/Mooshäusl)
Noch vor ein paar Jahren konnte man mich mit löwenzahngeprägten Honigen jagen. Die brennende Schärfe im Abgang, das Kratzen in der Nase waren nichts für mich. Allerdings hatte ich das Pech, daß die bis dahin probierten fünf oder sechs Löwenzahnhonige sämtlich Honigfehler aufwiesen, die ich seinerzeit – mangels Erfahrung – der Trachtpflanze in die Schuhe schob. Die Honige waren entweder zu feucht und phasengetrennt, überlagert oder kaputtgesonnt, statt in kühler Dunkelheit auf ihre Entdecker zu warten.
Und noch dazu kam die Mehrzahl aus bebrüteten Waben. Löwenzahnbetonter Honig zeichnet sich durch vieles aus, aber man kann nicht behaupten, daß er auf Seidenschuhen dahinschwebt. Löwenzahn ist schon weit unterhalb der für Sortenhonige geforderten 50% Trachtanteil ein liebenswert frecher Bengel, der einen mit Zahnlücke angrinst. Sein Charme besteht nicht zuletzt darin, die Vorstellung vom milden und sanften Frühtrachthonig gehörig gegen den Strich zu bürsten. Wenn dann aber alte Brutwaben ihren brandigen Geschmack dazutun, ist der Ofen aus. Dann wird der Michel aus Lönneberga zum verzogenen Rowdy, und der Honiggenuß ist dahin.
Wo soll man hin, wenn man auf der Suche nach dem ultimativen gelben Frühtrachthonig ist? Genau: nach Bayern. Richtig in den Süden. Wer einmal zur Vollblüte der Frühtracht in den Wiesen des Voralpenlandes gestanden hat, vergißt das alles überstrahlende Sonnengelb nicht mehr. Den Honig aus dieser Landschaft – der müßte es doch sein. Und nach einigem Probieren und Suchen (und einigem Brutwabengeschmack) ist er nun endlich gefunden. Vorher hatte ich geahnt, daß selbst ich Löwenzahn im Honig mögen könnte. Jetzt weiß ich, daß ich mich dafür vorbehaltlos begeistern kann.
Reiner Schwarz betreibt im Chiemgau unweit der österreichischen Grenze eine mittelgroße Nebenerwerbsimkerei. Die vor einigen Jahren erworbene Bio-Lizenz hat er wegen der hohen Zertifizierungskosten wieder aufgegeben, was aber an der Betriebsweise nichts geändert hat. In Imkerkreisen ist er vor allem als progressiver Königinnenzüchter bekannt, und seine Homepage handelt tatsächlich mehr davon als von seinem Honig. Zu Unrecht. Zur Verkostung stehen vor mir Frühtrachtabfüllungen der Jahre 2009 und 2008. Hier geht es um das ältere Exemplar, weil der 2009er durch die in diesem Jahrgang fast allgegenwärtige frühe Taubeitracht ganz aus dem typischen Rahmen fällt. Und der Alpenrand darf bei seinem ersten Auftritt auf dieser Seite ruhig klassisch daherkommen.
Reiner bewirtschaftet mehrere Bienenstände im Tal der Tiroler Achen, das sich vom Chiemsee aus aufwärts über Marquartstein in die Chiemgauer Alpen hinein erstreckt; bei der Entenlochklamm überquert der Fluß die Grenze nach Deutschland. Die drei Achentaler Bienenstände Niedernfels, Streunthal und Mooshäusl liegen zwischen 550 und 700 m Höhe und weisen, wie Reiner berichten kann, schöne lagenbedingte Variationen auf. Auch der Honig, den ich hier probiere, ist lagenrein – leider läßt sich aktuell aber nicht mehr nachvollziehen, von welchem der drei Stände das unbeschriftete Probeglas kommt. Und das Prachtstück zurückschicken, bloß um die genaue Lage nennen zu können, will ich um keinen Preis. Durch das rauhe Klima und die heftigen Winde, die morgens aus dem Gebirge nach Norden Richtung Chiemsee, in der zweiten Tageshälfte dann in die umgekehrte Richtung pusten, haben es die Bienenvölker nicht leicht. Die Honigräume werden ausschließlich mit unbebrüteten Waben (Jungfernwaben) oder Mittelwänden aus imkereieigenem Wachs bestückt. Die Abfüllung geschieht kalt, also nach dem Schleudern und Sieben direkt ins Glas.
Schon beim Öffnen des noch kühlen Glases springt mir der herbwürzige, kitzelnde Löwenzahnduft ins Gesicht. Mit ein bißchen Skepsis wandert der erste Löffel in den Mund. Schon die kräftige, grobe Kandierung schmeißt jedes zart-feine Frühtrachtstereotyp rigoros über den Haufen. Warum, frage ich mich, verzeihe ich dem Honig diese extreme Grobkörnigkeit sofort? Nach den nächsten Löffeln komme ich dahinter: es ist seine satte, füllige Dickcremigkeit. Die Viskosität erinnert an perfekten Milchreis, und die Farbe an einige Eigelb, die die bayrische Bäuerin zur Steigerung der Nahrhaftigkeit schnell noch hineingerührt hat, bevor die hungrigen Buben zum Essen ‚reinkommen. Ich ertappe mich dabei, den Honig nicht wie sonst löffelspitzenweise, sondern in ganzen Teelöffeln zu probieren. Und wonnig darauf herumzukauen.
Aber erst das Aromenbukett. Ja, es kitzelt heiß im Rachen, es kneift in die Nase, wie man es erwartet bei so viel Löwenzahn. Aber statt Brutwabenmuffigkeit entsteht hier großes Kino. Die reinweißen Waben bieten die Leinwand für den Bergfilm in Technicolor. Nie habe ich Löwenzahn im Honig so frisch und so leuchtend wahrgenommen wie hier. Man schmeckt Anklänge an süße Sahne, Frischkäse, Meerrettich und wieder – jetzt auch im Aromenspektrum – Eigelb. Dazu eine von intensiver Süße eingerahmte zarte Bittere, die man wiedererkennt, wenn man mal eine voll geöffnete Löwenzahnblüte auf die Zunge tupft.
Zu dieser wundervollen Frühtracht kann man dem Imker nur gratulieren. Und sich darauf freuen, im nächsten Jahr die Variationen des Themas in den drei Lagenabfüllungen Niedernfels, Streunthal und Mooshäusl kennenzulernen. Vielleicht als Rätsel, wenn die Gläser wieder unbeschriftet sind.
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